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"AUA!!!" - Schmerz beim Hund

  • von Lilli Nastl
  • 14 Mai, 2021

Teil 1 - Schmerzprozess

Seien wir ehrlich: Wenn unsere Hunde unter Schmerzen leiden, leiden wir mit ihnen!
Was uns oft noch mehr belastet, ist die Frage, wie wir ihnen helfen können.

Da das Thema "Schmerz" ein so unendlich weites Feld ist, habe ich versucht, einen groben Überblick über einzelne Bereiche zu geben, die für HundebesitzerInnen interessant sein können. Daraus sind 3 Teile entstanden, die Ihr hier nachlesen könnt.
In diesem 1. Teil beschränke ich mich lediglich auf die Schmerzentstehung. Hier geht es darum, was sich so alles im Hundekörper abspielt...

Oft ist es ja so, dass wir lange gar nichts bemerken, weil unsere Hunde Meister darin sind, etwas zu verbergen.
Doch je besser wir unsere Hunde kennen und beobachten, desto früher erkennen wir kleinste Anzeichen von Unwohlsein an ihnen.

Ein gesunder, schmerzfreier Hund ist leicht zu erkennen:
-         Er spielt, springt, läuft ohne Bewegungseinschränkung
-         Er hat ein schönes, glänzendes Fell
-         Er hat auch mit ziemlicher Sicherheit ein fröhliches Gemüt
-         Er frisst normal und wahrscheinlich schmeckt´s ihm auch
-         Er strahlt übers ganze Gesicht
-         Er ist aktiv und man sieht ihm die Lebensfreude an

Tut dem Hund allerdings aktuell etwas weh und empfindet er Schmerz, können wir als Besitzer wahrscheinlich auch Veränderungen in seinem Wesen feststellen.
Vielleicht  ist der Blick dann nicht mehr ganz so strahlend, vielleicht ist der Hund beim Fressen etwas mäckeliger, vielleicht steht er um eine Sekunde später auf für den Spaziergang, den er sonst so liebt, vielleicht lässt er sich 2 x bitten, ins Auto zu springen, vielleicht lässt er sich ungern angreifen und streicheln, obwohl es ihm sonst immer so gefällt, gekrault und geknuddelt zu werden…..

Das sollte für uns jedenfalls ein Hinweis darauf sein, dass etwas mit der Fellnase nicht stimmt!

WAS IST SCHMERZ?

Schmerz ist eine an sich sehr effiziente Reaktion des Körpers auf ihn schädigende Reize.

Diese Reize können von außen (Verletzung, Kälte, Hitze, etc.) oder von innen (Entzündungen, degenerative Veränderungen, Tumore, etc.) auf ihn einwirken und sie verlangen eine (Schutz)Reaktion des Organismus – z.b. Pfote bei Hitze wegziehen, in Notsituationen Flucht oder aber auch Ruhe bei Entzündungsschmerz in Gelenken uvm.

Ein  Akut-Schmerz ist also mit einem Frühwarnsystem zu vergleichen: "Vorsicht!!! Da ist was nicht in Ordnung!!!!"
Wenn ein physiologischer Schmerz (Akutschmerz) jedoch länger anhält, wird er zum Stressor und ruft damit verschiedene Stress-Reaktionen des Körpers hervor. Damit wird er zum pathologischen Schmerz!

PHYSIOLOGISCHE SCHMERZENTSTEHUNG

Der Prozess der Reizaufnahme (z.B. Hitze) von Rezeptoren in der Peripherie (z.B. Pfote), der Weiterleitung des Impulses über das Rückenmark zum Gehirn und der dort stattfindenden Wahrnehmung wird als Nozizeption bezeichnet.

Schmerzrezeptoren (Nozizeptoren) befinden sich überall im Körper – in der Haut, in den Muskeln, Faszien, in der Umgebung von Gelenken, im viszeralen Bereich (Eingeweide, Organe)…in manchen Arealen mehr, in manchen weniger an der Zahl. Stimuliert werden diese Rezeptoren über mechanische, chemische, thermische oder elektrische Reize.

Phasen der Schmerzentstehung

Die Nozizeption durchläuft verschiedene Phasen von der Reizaufnahme bis hin zur Wahrnehmung des Schmerzes:

.) Bleiben wir beim Beispiel mit der Hitze und der Pfote: Setzt der Hund die Pfote auf heißen Asphalt, erfolgt die 1. Phase = Transduktion. Dabei wird der thermische Reiz (heißer Asphalt) an den Rezeptoren in einen elektrischen Impuls umgewandelt, damit er weitergeleitet werden kann.

.) Darauf folgt die Transmission (2. Phase), die eigentliche Weiterleitung über die Nervenfasern in Richtung Rückenmark. Sie erfolgt im Grunde in zwei Wellen: Die „schneller“ leitenden Fasern erzeugen den ersten, „stechenden“ Schmerz, die „langsameren“ Fasern bringen den nachfolgenden „dumpfen“ Schmerz.

.) Bei der Modulation (3. Phase) spielt das Hinterhorn des Rückenmarks eine wesentliche Rolle. Es erhält über die sensiblen Nervenfasern aus der Peripherie sämtliche Informationen über den Schmerzimpuls und selektiert sozusagen die Schmerzempfindung.
Ist der Impuls „stark“ genug, wird er über das Rückenmark ans Gehirn weitergeleitet. Wird das aktuelle Schmerzempfinden durch einen anderen Reiz stimuliert, kann der Ursprungs-Schmerz entweder vermindert (oder auch verstärkt) empfunden werden. („Gate-Control-Theorie“)

Am Beispiel der Hundepfote auf dem heißen Asphalt, lässt sich das ungefähr so darstellen: Der Hund spürt den thermischen Reiz (Hitze) als Schmerz, dessen Impuls sich auf den Weg Richtung Rückenmark begibt. Wenn wir als aufmerksame Hundebesitzer, die wir die Reaktion unseres Hundes bemerkt haben, daraufhin die Pfote z.B. drücken (mechanischer Reiz), wird der eigentliche Schmerz (Hitze) als gar nicht mehr so schlimm empfunden.

Dasselbe geschieht, wenn wir uns die Hand an der Tischkante anschlagen und wir daraufhin die betroffene Stelle reiben oder drücken.
Die Schmerzintensität des ursächlichen Reizes wird also durch einen anderen Reiz überlagert – und diese Selektion übernimmt das Hinterhorn des Rückenmarks.

Aber nicht nur hier findet eine Filterung statt. In allen Phasen der (Schmerz)Reiz-Weiterleitung sind verschiedenste Systeme zwischengeschaltet, die entweder schmerz-lindernd (oder sogar  schmerz–ausschaltend) oder schmerz-verstärkend wirken.

.) Ist der Schmerzreiz jedoch – wie schon gesagt - stark genug, um nicht ausgeschaltet werden zu können, erfolgt die 4. Phase, die Projektion, in der der Schmerzreiz über das Rückenmark ins Gehirn weitergeleitet wird.

.) Passiert der Reiz den Übergang zum Gehirn, wird er zunächst vom Thalamus "in Empfang" genommen. Der Thalamus ist ein Teil des Zwischenhirns und agiert als eine Art „Torwächter“. Er inspiziert den Reiz und entscheidet quasi darüber, ob der Reiz „wichtig“ genug ist, ihn an die Großhirnrinde weiterzuleiten. Dabei "berät" sich der Thalamus mit anderen Hirnarealen, wie z.B. dem Limbischen System, das für die emotionale Bewertung verantwortlich ist, um eine „optimale“ Entscheidung treffen zu können.

.) In der 5. Phase erfolgt die bewusste Wahrnehmung des Schmerzimpulses in der Großhirnrinde (Kortex) des Gehirns – die Perzeption. Der Hund spürt den Schmerz bewusst und reagiert auch möglicherweise darauf, z.B mit Aufjaulen.

 

Es ist unglaublich, wenn man sich vorstellt, wie viele Phasen ein Schmerzimpuls durchläuft, wie viele Systeme zwischengeschaltet sind, um auch notwendige Botenstoffe ausschütten zu können – und vor allem in welch kurzer Zeit, nämlich in Bruchteilen von Sekunden!!!

A: Transduktion / B: Transmission / C: Modulation / D: Projektion / E: Perzeption
Der Vollständigkeit halber möchte ich hier auch noch ein paar Botenstoffe, sogenannte Neurotransmitter, nennen, die am Schmerzgeschehen beteiligt sind:

.) Endorphine: 
sind körpereigene Schmerzstiller (man könnte sie auch mit Opiaten gleichsetzen), die ausgeschüttet werden, um das Schmerzempfinden zu drosseln und die Reaktionsfähigkeit des Organismus aufrecht zu erhalten
.) Adrenalin:  
mobilisiert zusätzliche Kräfte für z.B. Fluchtreaktionen. Es bewirkt u.a. eine Engstellung der Gefäße und eine Steigerung des Blutdrucks
.) Serotonin, Dopamin, Noradrenalin:
sind an der Schmerzhemmung beteiligt. Ebenso beeinflussen sie den Schlaf und die Stimmung.
Bei chronischem Schmerz findet eine hoher Verbrauch von Serotonin und Noradrenalin statt. Schlaf fördert die Bildung dieser Botenstoffe, wenn dieser jedoch durch Schmerz beeinträchtigt ist, ist auch die Bildung der Neurotransmitter beeinträchtigt .... ein Teufelskreis entsteht.
.) Prostaglandine:
sind hormonähnliche Substanzen, die in verschiedenen Körpergeweben gebildet werden und eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Entzündung, Fieber und Schmerz spielen.
.) Cortisol:
zählt zu den Stresshormonen wie Adrenalin. Leidet der Hund unter chronischem Schmerz, steht er meist auch unter dauerhaftem Stress und der Cortisol-Spiegel ist stets erhöht, was wiederum weitere gesundheitsschädigende Folgen mit sich bringt.

Ich hoffe, ich konnte Euch in diesem Artikel halbwegs verständlich den Ablauf der Schmerzentstehung und des Schmerzprozesses verdeutlichen. Wie am Anfang schon gesagt, ist dieses Thema unendlich weitläufig und ich könnte mich noch in die einzelnen biochemischen Abläufe vertiefen, aber das würde tatsächlich den Rahmen sprengen.
Für diejenigen von Euch, die der prinzipielle Ablauf des Schmerzgeschehens interessiert, sollte dieser "Überblick" fürs Erste genügen.

Im nächsten Beitrag widme ich mich den Arten des Schmerzes und gebe Euch einige Informationen darüber, welche Gefahren beim Schmerzgeschehen auftreten können.

Und natürlich gibt es hier den obligatorischen Hinweis: 
Bei jeder Form von Schmerz sucht bitte den Tierarzt / die Tierärztin Eures Vertrauen auf, um Eurem Liebling auf schnellstem Wege zu helfen!!!!

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